EMDR, „Eye Movement Desen- sitization and Reprocessing“ („Augenbewegungs-Desensibilisierung und Neu-ordnung“), wurde 1987-1991 von Dr. Francine Shapiro vom Mental Research Institute im kalifornischen Palo Alto entwickelt. Die Psychologin entdeckte dieses Phänomen eher zufällig, als sie 1987 während eines Spaziergangs beobachtete, dass sich ihre Augen spontan hin und her bewegten, als ihr beunruhigende Gedanken in den Sinn kamen. Als sie sich bewusst auf die belastenden Gedanken konzentrierte, waren diese nicht mehr beängstigend. Daraufhin machte Shapiro den Gegentest: Sie bewegte die Augen absichtlich hin und her, während sie gezielt an ein schlimmes Erlebnis dachte, und siehe da: es stellte sich der gleiche Effekt ein.
Inspiriert durch diese Wahrnehmung entwickelte die Psychologin die EMDR-Methode, die einige der neuesten Erkenntnisse der Neurophysiologie nutzt. Als integratives Therapiemodell bündelt EMDR viele wichtige psychotherapeutische Denkschulen (Tiefenpsychologie, Psychoanalyse, Verhaltens-therapie, Körpertherapie).
Das Grundprinzip: Der Klient konzentriert sich auf die belastende Erinnerung und die damit verbundenen Gedanken, Gefühle und Überzeugungen. Dabei ist er wach und voll bewusst (EMDR ist keine Hypnose). Gleichzeitig versetzt der Therapeut die Augen des Betroffenen in eine rhythmische Aktion. Die belastenden Bilder, Körperempfindungen, Gedanken und Gefühle können diffuser werden und verlieren meist ihren beherrschenden Charakter. Positives wird dagegen häufig verstärkt und subjektiv als plausibler empfunden.
Die letzte Mode-Torheit auf dem Psychomarkt oder eine ernstzunehmende Behandlungsform? Seit der ersten Veröffentlichung wurde dieses Verfahren intensiv erforscht. EMDR ist mittlerweile die am gründlichsten untersuchte Methode zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS); es gibt hierzu mehr kontrollierte Studien über die Wirksamkeit, als über jede andere Methode. Im Juli 2006 wurde EMDR in Deutschland vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie laut § 11 PsychTh-Gesetz als Psychotherapiemethode zur Behandlung der Posttraumatischen Belastungsstörung bei Erwachsenen wissenschaftlich anerkannt. 2013 wurde EMDR von der WHO als eine von zwei Methoden zur Behandlung der PTBS bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen anerkannt. Gleichzeitig wurden aber auch von anderen Forschern erfolgreich Untersuchungen über den Einsatz von EMDR bei anderen Problembereichen durchgeführt.
Wie EMDR genau funktioniert, welche Vorgänge dabei im Gehirn vorgehen, ist noch weitgehend unbekannt. Bekannt ist jedoch, dass normalerweise Erlebnisse vom Verstand verarbeitet und abgespeichert werden. Ein Trauma jedoch überfordert die Verarbeitungsfähigkeiten des Gehirns. Dadurch kann es zu so genannten Flashbacks oder intrusiven Gedanken kommen, des Weiteren zu Ängsten, Schlafstörungen oder Alpträumen. Ein Auslösereiz genügt und das Erlebte wird immer und immer wieder durchlebt. Gefühle, Gerüche, Geräusche der Originalsituation sind so präsent, als wenn sie eben erst passieren würde. Oftmals bekommt der Betroffene dadurch auch eine negative Einstellung zu sich selbst, das weitere Leben wird maßgeblich vom damaligen Ereignis bestimmt, das Trauma entsteht.
EMDR kann eine wirkungsvolle Hilfe dabei sein, Bilder und Gefühle, die mit dem Trauma assoziiert werden, zu desensibilisieren, die Gedanken, die mit dem Trauma in Verbindung gebracht werden, zum Positiven zu ändern. Wenn ein Trauma stattfindet, scheint das Nervensystem die Erinnerung an diese Situation mit allen Bildern, Gedanken und Gefühlen „einzufrieren“. Dieses Material kann Fakten mit Phantasie kombinieren oder mit Bildern, die für das aktuelle Ereignis oder Gefühle darüber stehen. Die Augenbewegungen, die im EMDR angewandt werden, scheinen den Block im Nervensystem aufzuheben und zu ermöglichen, die Erlebnisse zu verarbeiten. Dies geschieht evtl. auch im REM- oder Traumschlaf – die Augenbewegungen helfen unbewusstes Material zu verarbeiten.
Die klassische Frage, wenn jemand zum Arzt oder Psychotherapeuten kommt, lautet: „Was stimmt mit ihm nicht? Was sind die Symptome?“ Die Fragen können aber auch lauten: Was ist bei diesem Menschen in Ordnung? Was ist besonders und einzigartig? Wie kreativ ist er? Gibt es ein Leitmotiv, einen Traum in seinem Leben, der vielleicht verschüttet und vergessen ist? Welche Kräfte kann er mobilisieren – und wie können diese Kräfte für ihn eingesetzt werden? Was braucht er, um dieses Leben zu führen? Bei all diesen Fragen geht es um Aktivität, um Vitalität und Lebensfreude.
In den USA entwickelten Dr. Sandra Foster und Dr. Jennifer Lendl wegweisende Ansätze, um EMDR auch bei nicht traumatisierten Menschen anzuwenden. Sie fanden EMDR-Methoden, um emotionale Leistungsbarrieren zu durchbrechen, Höchstleistungen zu fördern und eigenes Wohlbefinden zu steigern. Die von ihnen entwickelten EMDR-Möglichkeiten basieren auf einem ressourcenbildenden, positiven Ansatz und führen zu einer Verarbeitung von selbstbeschränkenden Glaubenssätzen und zu größerem Selbstvertrauen. Getreu nach dem synergetischen Grundsatz von Leonardo da Vinci „Wenn du etwas Neues schaffen willst, nimm unterschiedliche Dinge, und füge sie zusammen.“ entstand so ein neues Verfahren.
Durch die EMDR-Sitzungen lernen die KlientInnen, Fähigkeiten zur optimalen Leistung zu erreichen, wie z.B. Techniken zur Steigerung des Konzentrationsvermögens, Förderung von Stärken und Talenten und zum Umgang mit negativen Emotionen (z.B. Stress).
Wo kann EMDR angewendet werden?
- Psychische Traumatisierungen: EMDR ist eine besonders effektiv, wenn Sie körperliche und sexuelle Übergriffe, Kriegserlebnisse, Unfälle oder Katastrophen durchmachen mussten (z.B. Missbrauch, Misshandlung, Naturkatastrophen). Durch EMDR kann die innere Distanz zu dem Schrecken vergrößert werden, die Ängste können vergehen und die bedrängenden Vorstellungsbilder verblassen.
- Arbeit an Ressourcen: EMDR lässt sich zur Kreativitätssteigerung einsetzen, für positive Selbstmotivation und zur mentalen Vorbereitung auf Spitzenleistungen (Prüfungen). Es eignet sich für die Stabilisierung der inneren Balance und zur Vergrößerung innerer Ruhe und Konfliktstärke.
- Psychische Probleme: Wenn Sie unter Angstzuständen oder starken Trauergefühlen leiden, kann EMDR ebenfalls hilfreich sein.
- Psychosomatische Probleme: Bei Beschwerden, für die es keine medizinische Erklärung gibt, und bei denen psychische Hintergründe vermutet werden, kann EMDR helfen; z.B. bei chronischen Schmerzen.
- Integration ungeliebter Persönlichkeitsanteile: Mithilfe von EMDR ist ein innerer Dialog zwischen unserer inneren „Schattenseite“ und unserer „Schokoladenseite“ möglich. Wenn Sie also mehr mit sich „ins Reine“ kommen wollen, sich mehr annehmen und akzeptieren, mehr Verständnis für sich selbst gewinnen möchten, kann EMDR eine Hilfe sein.
- Stressbewältigung und innere Distanz: Wenn Sie in überwältigenden Gefühlen oder drängenden Gedanken gefangen sind, kann EMDR innere Beruhigung bewirken. Sie bekommen wieder Distanz zum Geschehen und finden dadurch schneller Lösungen. Gefühle der Ruhe und des Vertrauens werden gestärkt.
- Bearbeitung negativer Selbstzuschreibungen: Themen wie Bewältigung von „Nackenschlägen“ und Lebenskrisen, Bewusstmachung und Überwindung von leistungseinschränkenden Glaubensätzen und negativen Selbstbildern wie: „Ich mache immer alles falsch“, oder „Ich bin ein Verlierer“.
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Bildnachweis: Christian König